« Der Sonnenaufgang weckt mich, ich muss aus dem Bett, auf den Balkon, den Moment festhalten. »
- Christof Stefaner
Reisender
Christof Stefaner
Kuoni Kunde Christof Stefaner ist beruflich als langjähriger Informatiker aktiv, schätzt zum Ausgleich Entspannung, gediegenen Jazz, gutes Essen, eine schöne Reise und pflegt noch etliche andere Interessen, für die immer zu wenig Zeit bleibt. Er ist verliebt in die Queen Mary 2.
«Sister ship». Stirnrunzeln. «Schwesterschiff». Durch die Übersetzung wird es auch nicht besser. Die beste Begriffserklärung scheint mir folgende zu sein: «One of two or more essentially similar ships usually built from the same general plans». Was bedeutet, dass die oftmalige Verwendung des Begriffs Schwesterschiff für Cunards Queen Elizabeth zwar auf Queen Victoria zutrifft und vice versa, aber im Zusammenhang mit der Queen Mary 2 nicht richtig ist. Denn diese ist einzigartig und hat zwar zwei Schwestern, aber kein Schwesterschiff.
Diese Klarstellung gleich zu Beginn dieses kurzen Reiseberichts muss sein. Es erklärt jenen Kreuzfahrtfreunden, die sich noch nicht als «Cunarder» fühlen, die aktuelle Zusammenstellung der Flotte. Es sind drei Schiffe. Three Queens. Fest steht, dass die Reederei Cunard in diesem Jahr ihr 175. Jubiläum feiert, und daran dürfen wir alle teilhaben. Das kann man an Bord des Flaggschiffs, der Queen Mary 2, oder auf einer ihrer beiden Schwestern, Queen Victoria oder Queen Elizabeth persönlich erleben. Die grosse Liebe, Queen Mary 2, konnte es diesmal nicht sein, die Umstände sprachen dagegen. So hat die Neugier gesiegt, und wir fanden uns auf der Queen Elizabeth wieder. Wer würde das Kommando führen? Keine einfache Frage. Es wird kein Commodore sein, der ranghöchste Officer der Cunard Flotte. Es wird auch kein Captain sein, jedenfalls nicht im geschlechtsspezifischen Sinn des Wortes, nämlich kein männlicher. Wir werden erstmals an Bord eines Cunard Schiffes mit einem weiblichen Captain sein, Captain Inger Klein Thorhauge. Und damit ist es mit Besonderheiten auch noch nicht vorbei. Denn wir haben zwar nur die Möglichkeit, an Bord eines einzigen Schiffes zu gehen, aber wir dürfen uns glücklich schätzen, dass wir diesmal an einer Flottenparade teilnehmen können. Diese Gelegenheit ist eine seltene, obwohl man in diesem Jubiläumsjahr sogar die Wahl hätte. Ab Southampton, dem Heimathafen der Cunard Flotte über Jahrzehnte, oder ab Liverpool, dem ehemaligen Sitz der Gesellschaft Cunard. Definitiv nicht ab Hamburg, dem angeblich «heimlichen» zweiten Heimathafen (um den deutschen Freunden zu schmeicheln), und ganz definitiv nicht ab Hamilton, Bermudas, wo die Flotte registriert ist (echte «Cunarder» wollen über diesen Sachverhalt auch nicht gerne nachdenken). Die Dinge sind manchmal eben ein wenig kompliziert.
Mit dieser notwendigen Vorgeschichte erreichen wir nach der Anreise über London Heathrow die Kreuzfahrtterminals in Southampton, in unserem Fall das traditionelle Queen Elizabeth 2 Terminal. Gleich nebenan, am modernen Ocean Cruise Terminal, liegt auch schon die Queen Mary 2 in majestätischer Pracht. Der Check-In geht für uns rasch über die Bühne und so betreten wir endlich - nach einem sehnsuchtsvollen Blick von der Gangway hinüber auf den anderen, riesigen Red Funnel - die Queen Elizabeth: «Mind your step!» Diese Redewendung muss man einfach lieben, man darf sogar gerührt sein. Beim anschliessenden Betreten der Grand Lobby ist sicher schon so manche Freudenträne geflossen. Nur noch zwei Dinge trennen uns jetzt von der völligen Entspannung an Bord: die Ankunft der Koffer und die Seerettungsübung am Nachmittag. Das vergessen wir vorläufig, suchen routiniert unsere Kabine und erfreuen uns auch gleich am vertrauten Anblick und dem schönen Balkon mit herrlicher Aussicht. In der Ferne sehen wir die Queen Victoria. 3 Queens, wie gesagt. Jetzt kann nichts mehr schief gehen. Zufrieden machen wir uns auf den Weg ins Buffetrestaurant, nach der Anreise und Anspannung wollen wir Gewissheit, dass Cunard auch kulinarisch seine generösen Versprechen einlösen wird.
Das frühe, ruhige Mittagessen an bester Aussichtslage war hervorragend, die Koffer sind auf der Kabine angekommen, unseren Wünschen für das Abendessen wurde entsprochen. Und auch sonst läuft hier alles wie am Schnürchen, die Stimmung ist auf einem Höhepunkt angekommen. Aber das Beste kommt ja noch, wenn sich am späten Nachmittag die Queens von Cunard zur Parade sammeln werden. Vorher ist der Rundgang über alle Decks zur Erkundung angesagt, das Wetter spielt mit.
Als es soweit ist, legt Queen Victoria als Erste ab und nähert sich, wir verlassen auf der Queen Elizabeth ebenfalls unser Terminal und machen etwas Platz für die Queen Mary 2, die nun langsam an uns vorbeigleitet und die Führung übernehmen wird. Die Decks sind voll mit Menschen, die sich zuwinken, die Schiffe lassen ihr Horn dröhnen. Wir sind dabei, es passiert. Das Wetter hat etwas aufgefrischt, so bin ich froh, dass es auf der Queen Elizabeth vorne am Oberdeck geschützt ist, man aber trotzdem beste Sicht hat. Kleine Segelyachten und Motorboote begleiten uns im Solent, dem Seitenarm des Ärmelkanals. Die Fahrrinne ist schmal, es geht in Linie hinaus bis zum Schloss Calshot, wo sich schon hunderte Beobachter eingefunden haben, um uns von Southampton endgültig zu verabschieden. Zwischen den Markierungsbojen drehen wir in einer eleganten Kurve auf die Isle of Wight ein und ziehen an ihr vorbei. Es ist still, man hört nur den Fahrtwind, die Stimmung knistert. Gelegentlich wechsle ich meinen Standort am Schiff, um auf die Queen Victoria zurückzublicken, die in ein schaurig schönes Licht getaucht ist, als die Sonne durch die Wolkendecke bricht. Queen Mary 2 liegt nun ganz ruhig etwas abseits, und sogar der Himmel hinter ihr gibt wieder sein Blau frei. Als wir uns weiter ostwärts bewegen, übernehmen wir die Führung, Queen Victoria folgt noch eine Weile, Queen Mary 2 lässt sich langsam weiter zurückfallen, bald bleiben wir uns selbst überlassen, der Pilot verlässt das Schiff. Langsam leeren sich auch die Decks, ich blicke ein letztes Mal zurück, möchte den Moment einfangen für immer.
Das Bild im Kopf, bleibt mir keine Zeit für Traurigkeit, es ist höchste Zeit, sich für das erste Dinner fertig zu machen. Wir werden nicht enttäuscht, Cunard bietet auch auf Queen Elizabeth alle Annehmlichkeiten, die ich mir von einem schönen Abend erhoffen darf. Essen, Service und Ambiente sind gewohnt erstklassig, man darf sich wohlfühlen. Nach einem kurzen Rundgang durchs Schiff beschliesst ein Cocktail im Commodore Club diesen langen und unvergesslichen Tag. Mit einem Umweg über das offene Deck begleitet uns noch der Vollmond in die warme Kabine. Es war unglaublich.
Der Sonnenaufgang weckt mich, ich muss aus dem Bett, auf den Balkon, den Moment festhalten. Ich bin wach und bereit für diesen einen Tag auf See. Weil ich weiss, wie wertvoll er ist. Unser Glück reisst nicht ab, wir blättern das Bilderbuch bei Schönwetter auf, beim formidablen Frühstück mit Aussicht. Im Laufe des Tages werden wir nicht zu viel Zeit damit verschwenden, Vorzüge der Queen Mary 2, der Queen Elizabeth oder der Queen Victoria gegeneinander abzuwägen, dazu haben wir in den kommenden Wochen ausreichend Gelegenheit, wenn wir uns zurückerinnern. Wir lassen stattdessen die Stimmung auf uns wirken. Wir sind froh, dass wir uns mit jedwedem Luxus und Komfort arrangieren dürfen, und dieser Tag im Kanal ist strahlend, er erinnert mich an karibische Momente. Daher lassen wir es uns auch nicht nehmen, ein paar Stunden faul in der Sonne zu liegen, obwohl es viel zu entdecken und zu erledigen gibt. Die liebsten Unterbrechungen bereitet natürlich das kulinarische Verwöhnprogramm an Bord, und für einen Cocktail zwischendurch findet sich auch immer eine Gelegenheit. Die ewig lange Spur im Ozean mit Rückständen von zwei chinesischen Frachtern machen mich nachdenklich. Ich lenke mich ab, indem ich den Verwirbelungen unserer Schiffschrauben bis zum blauen Horizont folge. Die Welt sollte überall schön sein.
Im himmlischen Bett auf See, beim Einschlafen, lasse ich noch einmal meine Erinnerungen der letzten zehn Jahre vorbeiziehen, die Entwicklung von Cunard unter der Carnival Corporation in diesem kurzen Zeitraum, und die Entwicklung des Kreuzfahrttourismus im Allgemeinen. In Anlehnung an die drei Queens hätte ich daher drei fiktive Wünsche. Erstens, Cunard möge immer etwas von dem Flair bewahren, welches von einem traditionellen Transatlantic Crossing ausgeht und auf das entspannte Cruising auf den Weltmeeren abfärbt. Zweitens, Cunard möchte den Standard für seine Gäste hoch halten und dazu alle Herausforderungen der heutigen Zeit hinsichtlich Nachhaltigkeit im Kreuzfahrttourismus annehmen. Drittens, ich möchte noch einmal, mindestens einmal, auf ein Schiff von Cunard - für mehr als zwei Nächte.
Wir sind an der Elbe in Hamburg angekommen. Ich habe gut geschlafen, aber zu kurz, wie schon die ganze Woche. Die drei Tage waren die ganze Mühe wert. Alle Memorabilia für dieses 175th Anniversary sind im Koffer sicher verstaut. Captain Inger Klein Thorhauge hat die schöne Grafik der Three Queens zur Erinnerung persönlich signiert. Commodore Bernard Warner - ich gönne ihm den verdienten Ruhestand - werde ich trotzdem immer vermissen. Queen Mary 2 bleibt die Queen. Und obwohl von kurzer Dauer, am Ende der Reise haben wir Gewissheit, was unsere eigene Wahrnehmung betrifft: It’s a sister. A beautiful one.
Text: Christof Stefaner Fotos: Christof Stefaner / DER Touristik Suisse AG